Thema: „Demokratischer Sozialismus“

Veröffentlicht von Philip Holley 17. Juli 2019

Die Kreisdelegiertenversammlung möge beschließen:

Der Kreisvorstand wird aufgefordert, ein Kreisforum mit Kevin Kühnert zum Begriff „demokratischer Sozialismus“ unter Berücksichtigung der heutigen Probleme zu organisieren.

Begründung:

In einem Interview mit der Wochenzeitung DIE ZEIT hat der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert versucht, die Frage zu beantworten, was für ihn Sozialismus heißt. Das Interview hat zu weitreichenden Reaktionen geführt, auch innerhalb unserer Partei. Besonders die Aussage, es sei weniger wichtig, „ob am Klingelschild von BMW ’staatlicher‘ oder ‚genossenschaftlicher‘ Automobilbetrieb steht oder ob das Kollektiv entscheidet, dass es BMW in dieser Form nicht mehr braucht“ hat heftige Reaktionen ausgelöst, nicht nur bei politischen Gegnern. Auch die Feststellung, Wohnen sei ein Grundbedürfnis, jeder solle maximal den Wohnraum besitzen, „in dem er selber wohnt“, hat heftige Redaktionen ausgelöst.

Unser Hamburger Grundsatzprogramm vom 28.10.2007 widmet – im Gegensatz zum Godesberger Programm vom November 1959 – dem Begriff nur wenige Zeilen. Der Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ habe die Idee des demokratischen Sozialismus nicht widerlegt, sondern … eindrucksvoll bestätigt. Deshalb bleibe der demokratische Sozialismus für die Partei „die Vision einer freien, gerechten und solidarischen Gesellschaft, deren Verwirklichung … eine dauerhafte Aufgabe“ sei ( S. 16-17). Das jedoch reicht angesichts von Klimakatastrophe, weltweiter Migration, Kriegsgefahr, Wohnungsnot und Digitalisierung nicht mehr aus.

Hinzu kommt, dass die Implosion der verharschten Machtpyramide UdSSR und ihrer Satelliten in Osteuropa im Kapitalismus die Illusion hervorgerufen hat, er sei jetzt ohne Konkurrenz, und er könne jetzt so richtig Gas geben. Heraus kommen Gesellschaften, in denen Einkommen und Vermögen sich immer weiter in die Spitze verlagern, Egoismus und Nationalismus Triumphe feiern, Rechtsstaat und Demokratie auch in Europa abgebaut werden. Die jüngsten Vorgänge in Österreich sind keine „Singularität“, sondern das Wesen des Populismus – überall in Europa und in der Welt.

Dem ist endlich ein klares Bild von Menschlichkeit und Empathie entgegenzusetzen – nicht nur durch Worte, sondern auch durch Taten. Dazu sind nicht nur gute Absichten, sondern auch Opfer erforderlich, v. a. von denen, die etwas geben, besser zurückgeben müssen. Beispiele:

  • Das Klima ist nur durch den schnellsten Ausstieg aus der Kohle zu retten,
  • die Migration durch faire Handelsverträge mit Afrika und anderen einzuschränken,
  • die Kriegsgefahr durch rigorosen Stopp von Waffenlieferungen in Spannungs- und Kriegsgebiete zu verringern,
  • die Wohnungsnot durch Rückerwerb veräußerter Wohnungen zu vertretbaren Bedingungen durch Staat und Kommunen Schritt für Schritt zu mildern,
  • der Digitalisierung durch Forschung, Bildung und deren Anwendung in Form der Förderung neuer Jobs zu steuern.

Dazu sind dem Staat die nötigen Mittel zu verschaffen; durch rigorosen Kampf gegen Steuerdumping, Steuerhinterziehung und Steuervermeidung – auch und gerade innerhalb Europas.

Es handelt sich um eine Gratwanderung, Widerstände sind programmiert, Versuchungen, verfassungsgemäße Rechte nicht so genau zu beachten, groß. Entschädigungslose Enteignungen haben den Sozialismus historisch diskreditiert, sie kann es nicht geben gemäß Art. 15 i. V. m. Art. 14 Abs. 3 Satz 3 des Grundgesetzes, der besten Verfassung, die es in Deutschland je gegeben hat. Deshalb erweckt auch eine „Kollektivierung“ von Unternehmen wenig Vertrauen. Es ist sehr wohl wichtig, was auf dem Klingelknopf von BMW steht. Wer ist das „Kollektiv“, das die Verteilung der „Profite demokratisch kontrolliert“? Nicht zuletzt: Wie sehen Städte und Gemeinden aus, in denen „jeder maximal den Wohnraum besitzt, in dem er selbst wohnt“?

Es ist höchste Zeit, darüber zu diskutieren, welche Konsequenzen die Parteien aus dem Sozialstaatsgebot des Artikels 20 des Grundgesetzes angesichts der besorgniserregenden Entwicklung ziehen; sie sollten den Diskurs darüber nicht den Populisten überlassen.

(verabschiedet auf der Mitgliederversammlung am 21. Mai 2019)